Selbstbetrachtungen

 

Der Dirigent würde gern «Josef und seine Brüder» fertig lesen (1972 angefangen). Er mag das Schokoladenmuseum in Hamburg.


Was ist das Beste daran, wenn man wie Sie ein international erfolgreicher Dirigent und Menschenrechtsaktivist ist? Diejenigen, die mich beneiden, sollten das nicht tun. Glücklich kann man in jedem Beruf werden. Aber in meinem auch unglücklich. ● Was treibt Sie an? Die Illusion, in Zukunft besser werden zu können. ● Was tun Sie am Morgen als Erstes? Das hängt davon ab, ob es um 3 Uhr 30 oder 9 Uhr 30 ist. Neuerdings schaffe ich es sogar, an Jetlag zu leiden, ohne Europa verlassen zu haben. ● Wem haben Sie zuletzt ein Kompliment gemacht? Wofür? Die Frage ist, wie man «Kom- pliment» definiert. Ein ehrliches Kompliment habe ich letzte Woche meiner Frau gemacht, weil sie sehr schön aussah. ● Neulich ein Kompliment bekommen? Wofür? Ja! Als mir um 18 Uhr 01 in einer Bäckerei gesagt wurde: «Wir haben geschlossen, junger Mann!» ● Ihr persönliches Stil-
Was können Sie besonders gut? «Mich Illusionen hingeben.»
merkmal? Allein im Bett Espresso trinken. ● Ihr aktuelles Projekt? Am Wagner-Festival, das ich in Budapest ge- gründet habe, den «Ring des Nibelungen» aufzuführen. ● Haben Sie eine gute Beziehung zum Spiegel? Eine sachliche. Ich muss mein Spiegelbild akzeptieren, zum Spass guck ich da nicht rein. ● Haben Sie ein Reiseritual? Fünfmal kontrollieren, ob mein Pass in der rechten Jackentasche steckt. ● Ihr Lieblingsmuseum? Das Schokoladenmuseum in Hamburg. Mit den Enkelkindern. ● Wenn Sie viel Zeit hätten: Was würden Sie anpacken? «Joseph und seine Brüder» zu Ende lesen (habe 1972 damit angefangen). ● Wofür sind Sie dankbar? Dafür, dass ich für meine Leidenschaft, mein «Hobby» Geld bekomme. Und ich verdiene viel mehr Geld, als ich brauche. Ein grosses Glück! ● Was zu verlieren wäre für Sie das Schlimmste? Meine Kinder und Enkelkinder, meine Frau. ● Wofür geben Sie unnötig viel Geld aus? Taxis. ● Welchem Genussmittel sind Sie zugetan? Kaffee. ● Was, würden Sie sagen, können Sie besonders gut? Mich Illusionen hingeben und die Realität ausblenden. ● Ein Rat, den Sie Ihrem zwanzigjährigen Selbst geben würden? Versuche nicht immer, den Erwartungen anderer zu entsprechen. ● Was ist Ihnen völlig egal? Meine Kleidung. (Ich befolge einfach Anweisungen.) ● Ein Lebensprinzip? Leben und leben lassen.
● Was macht eine Person schön? Was heisst «schön»? Darüber streiten sich die Philosophen bis heute. ● Welche Zwänge oder Ticks haben Sie? Das zu beantworten, würde den Rah- men dieser Seite sprengen. ● Wovor fürchten Sie sich am meisten? Vor Krankheiten und davor, die Kontrolle über mich selbst zu verlieren. ● Worauf sind Sie am stolzesten? Auf meine zwei Enkel und meine süsse Enkelin. ● Ihre grösste Niederlage? Ungarn. Meine Hoffnungen auf eine liberale Demokratie nach der Wende sind zerstört. ● Ein Moment, der Ihr Leben verändert hat? Die Zufallsbegegnung 1975 in Finnland, wo ich meine Frau Doris kennenlernte. ● Welches Problem, das Sie früher hatten, haben Sie heute
nicht mehr? Zu jung zu sein. ● Was würden Sie tun, wenn es keine Angst gäbe? Ich halte es mit der Grundaussage von Wagners «Ring»: Gäbe es keine Angst, so müssten wir das Fürchten erlernen (wie Siegfried). ● Woran glauben Sie, woran Sie früher nicht geglaubt haben? An die Unveränder- barkeit der Menschen. ● Was meinen Sie: An welcher Weggabe- lung im Leben befinden Sie sich gerade? Ich habe keine grosse Wahl, ich bin schon über 70. ● Ihre Traumgästeliste für ein Abendessen? Maximal fünf Leute! Eine unharmonische Grup- pe: Greta Thunberg, Jürgen Habermas, Tony Robinson, Noam Chomsky und Emil Steinberger. ● Warum sind Ihre Freunde Ihre Freunde? Wenn jemand mein Freund werden möchte, dann beweist er einen so erlesenen Geschmack, dass ich dem nicht widerstehen kann.

Ádám Fischer, *1949, ist ein international erfolgreicher ungarischer Dirigent, der als Experte für Joseph Haydn und Richard Wagner gilt. Am 20. August wird Fischer am NZZ-Podium mit dem Titel «Diversity – Vielfalt und Einheit» im KKL teilnehmen. (nzz.ch/live)

Hier geht es zum Beitrag in der NZZ von Zuza Speckert (16.07.2022)